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Stuttgarter Nachrichten, 17 January 2006

Ein Rätsel und viel Mozart-Glück
Brillantes Bühnenereignis: Joachim Schloemer inszeniert Mozarts "Così fan tutte" an der Staatsoper Hannover

Der Vorhang hebt sich, wir sehen in einen raumschiffartigen Raum, der ganz in hellblau-fluoreszierendem Licht erstrahlt (Bühne: Jens Kilian, Licht: Olaf Freese). Er erinnert an eine riesige aufgeschnittene Röhre, die quer über die Bühne verläuft.

Davor befindet sich eine schräg gestellte Scheibe. Kaum hören wir die ersten Töne, betreten Astronauten - oder sind es Roboter? - den Raum und entfernen letzte Naturreste wie Moos aus dem Bühnenbild. Die Ouvertüre ist zu Ende, und die Astronauten sind wieder weg: ein rätselhaftes Bild, das sich auch im Nachhinein nicht klärte. Gestört hat es aber auch nicht, denn es folgte eine der brillantesten Mozart-Inszenierungen der letzten Jahre. Joachim Schloemer zeigte seine ganz eigene Sicht des Stückes. Und die war, abgesehen vom Anfang, glasklar und zwingend. Die schräg gestellte Scheibe entpuppte sich im Laufe des Stückes als Kreisel, also als Scheibe, die nur mit einem Mittelstab fixiert und darum flexibel gelagert ist. Sie bewegt sich in Abhängigkeit von den die Scheibe bespielenden Sängern und erweist sich somit als genauso instabil wie die Gefühle der handelnden Figuren: eine geradezu ideal passende Bildfindung für dieses Stück, in dem jedes Gefühl in jedem Moment schwankt, in dem nichts sicher ist und in dem die vermeintliche Sicherheit der Gefühle innerhalb der Paare zu der verruchten Idee führt, dass man doch kurzerhand mal die Partner kreuzweise tauschen könnte, um die Treue derselben zu erproben.

Schloemer lässt der Vielschichtigkeit des Stückes allen Raum. Wenn die Herren der Schöpfung inkognito bei ihren Angebeteten aufkreuzen, glaubt man noch, dass sie sich absichtlich in ihren grellen Kostümen so überkandidelt und aufdringlich aufführen, um eben gerade nicht bei den Frauen zu landen. Die beiden Männer scheinen der gerade selbst herausgeforderten Situation einer Konfrontation mit Gefühlsäußerungen des weiblichen Gegenübers ausweichen zu wollen, um nicht selbst in Versuchung zu geraten. Aber dann kommen doch allmählich leise Reaktionen der Frauen und setzen wiederum Gefühlswallungen bei den Männern in Gang, die diese nicht mehr unter Kontrolle haben.

Schloemer und seine als Schauspieler wunderbar glaubwürdig agierende Sängerschar haben dies in unendlich vielen Facetten zwischen Wahrhaftigkeit, Täuschung und Selbsttäuschung auf die Bühne gebracht, dass man - welch Seltenheit! - die Nähe des Geniestreichs vom Duo da Ponte/Mozart zu Shakespeares Komödien hier wirklich einmal im Musiktheater sinnlich erfahren konnte.

Musikalisch war der Abend bei Mikhel Kütson in guten Händen. Er ließ sein sehr gut aufgelegtes Orchester federnd und dynamisch musizieren [...] Alles in allem: ein Abend mit viel Mozart-Glück.

Rainald Hanke