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Der Tagesspiegel, 3 November 2007

Alceste ist die Retterin

Sie weiß, dass sie allein das Opfer bringen muss. Alceste ist bereit, für ihren Mann zu sterben: "Ich!" Regisseur Joachim Schloemer wirft das Wort "Ich" in Versalien auf die Videowand seiner Blackbox.

Der zweite Abend, den das Konzerthausochester in seiner exzeptionellen Reihe "Gluck. Gluck. Gluck." aufbietet, bringt ein weit weniger vertrautes Werk als den "Orfeo": Christoph Willibald Glucks Oper Alceste. Der Mut der Veranstalter zieht die italienische Fassung der französischen vor, die Urfassung also. Hier geht es eigentlich nur um zwei Empfindungen: Trauer und Schrecken und deren verlängerte Seelenpein, Todesbereitschaft und Abschiedsschmerz. Verschattet kommt kleine Freude auf.

Im Konzerthaus konzentrieren sich Musik und szenische Einrichtung auf dieses "Ich". Eine Frauenoper. [...]

Das Bühnenbild von Mascha Masur umfasst den ganzen Saal, darin der grandiose Rias-Kammerchor umherkletternd thessalisches Volk und Unterweltgötter darstellt. Modische Videomittel verbindet Schloemer mit Konzentration auf die Titelheldin. Christiane Oelze dominiert mit stimmlicher Präsenz bei knapper Gebärde. Als dramatische Tenorgestalt ist ihr der Admeto Dominik Wortigs ebenbürtig. Lothar Zagrosek gibt der Ouvertüre hyperaktiven Aufwind, imponiert aber auch als Koordinator des sehr motivierten Orchesters mit der Raumchoreografie. Einfache Melodik, viel Tempowechsel, "rührende" Homophonie: In Schloemers Fazit führt höfische Oper in bürgerliches Familienglück. Das heißt zugleich Verfremdung, Vision, Zukunftsmusik.

Sybill Mahlke