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Tages-Anzeiger, 30 August 2003

Düsterer Alltag, strahlende Arien
Am Luzerner Theater spielt Joachim Schloemer in seinem neuen Stück "About Kings, Queens and Witches" mit harten Kontrasten.

Die Königinnen des Abends sind Jennifer Davison, Violetta Radomirska und Tanja Arlane Baumgartner. Wenn sie mit ihren ruhigen, sinnlichen Stimmen zum Gesang anheben, ist es, als würde auf der Bühne des Luzerner Theaters die Sonne aufgehen. Und man fühlt sich an Bilder von Rembrandt erinnert, in denen warmes, goldiges Licht in die Dunkelheit dringt und einen Gegenstand oder ein Gesicht zum Leuchten bringt.
Die Musik, die Joachim Schloemer in seinem neusten Stück "About Kings, Queens and Witches" verwendet, stammt von Rembrandts Zeitgenossen Henry Purcell, John Blow und Matthew Locke. Die barocken, auf Englisch vorgetragenen Arien passen verblüffend gut zum szenischen Geschehen, das Menschen von heute in düsteren urbanen Landschaften zeigt. Die schlichte Ausstattung von Gesine Völlm erzeugt eine Atmosphäre wie in einer New Yorker Subway-Station. Die fünf Tänzerinnen und Tänzer, die sich mit den Sängerinnen gemeinsam über die Bühne bewegen, sind Passanten in einem unvertrauten, unwirtlichen Raum. Im Gegensatz zur frischen, strahlend lebendigen Musik wirken ihre Bewegungen gebrochen, grau und abgegriffen. Als wäre auf der Ebene der Körpersprache alles schon gesagt worden und nur noch flaues Zitieren möglich.
Dieser faszinierende Zusammenklang des Vitalen mit dem Depressiven ist in Schloemers Werk ein immer wiederkehrendes Thema. In "About Kings, Queens and Witches" zitiert er Bewegungen aus der Tanzgeschichte, aber auch aus Kino, Schauspiel und Oper. Lose verbindet er die Episoden und spielt ebenso raffiniert mit dem Verschmelzen von Kontrasten wie mit harten Brüchen. Die Darsteller singen, tanzen, raufen, spucken, husten und schreien. Im Stroboskoplicht-Gewitter wird zu Punkmusik herumgetobt, zu Barockarien durch schlaff herumliegende Körper und eingestürzte Holztürme gewatet. Oder es wird in der Stille aus einem azurblau sprudelnden Automaten ein Becherchen Wasser getrunken und in bunten Schlafsäcken auf dem nackten Boden übernachtet: "No noise", lautet der müde hingeflüsterte Abschiedsgruss, mit dem das Publikum seinen eigenen Assoziationen überlassen wird.
Etwas betäubt verlässt man schliesslich das Theater: Geblendet vom Licht der Scheinwerfer, die sich in der letzten Szene auf das Publikum richteten. Betört von der Musik des Barockorchesters La Cetra unter der Leitung von Attilio Cremonesi. Und ergriffen von Joachim Schloemers zugleich abweisendem und verführerischem Werk.

Agathe Blaser