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Der Tagesspiegel, 26. April 2007

Wahn und Rausch

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Kurz vor seinem Engagement an der Deutschen Oper ist Schloemer aus Indien zurückgekehrt, wo er die Endproben zu einem Theaterstück nach dem Ramayana-Epos hinter sich brachte. Das hat nichts mit dem derzeitigen Bollywood-Hype oder spiritueller Sinnsuche zu tun. Den mindestens 2000 Jahre alten Mythos über Liebe, Entsagung, Täuschung und Treue nahm der Regisseur zum Ausgangspunkt einer Auseinandersetzung mit dem Patriarchat.

Nach einer Anfrage des Goethe-Instituts im September 2003 machte Schloemer sich auf eine ausgedehnte Recherche-Reise, lernte Schriftsteller und Schauspieler kennen, suchte Sänger und Musiker für das Stück und schrieb ein langes Dossier für die Kulturstiftung des Bundes. Schließlich wurde das Geld bewilligt und die Arbeit an der Aufführung konnte beginnen. "Das hat zu vielen Veränderungen in meinem Denken und Handeln geführt. Vor einigen Jahren habe ich mich noch intensiver mit den mythologischen Figuren des 'Ramayana' beschäftigt. Aber die Arbeit an diesem Epos hat mich dazu gezwungen, eine gesellschaftspolitische Haltung zu entwickeln."

Der alte Mythos wird in Indien bis heute religiös und auch politisch instrumentalisiert. In seiner Anverwandlung des Mythos entwickelte Schloemer ein großes Selbstbewusstsein: "Es war ein langer Weg, in Indien ein Stück zu machen aus einem Stoff, der nur dorthin gehört." Eine direkte Linie besteht zwar nicht zwischen "Ramayana" und Zemlinskys "Traumgörge", doch haben die Erfahrungen in Indien dazu geführt, dass Joachim Schloemer sich inzwischen weit mehr als gesellschaftspolitisch interessierter Regisseur versteht.

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Uwe Friedrich