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Thurgauer Zeitung, 16. Oktober 2004

Nahrung für Ohr und Auge

[...] Auf Grund eines technischen Defektes der Lichtanlage im Theater am Neumarkt in Zürich, fand die eigentliche Premiere von «Morton, Morton, Morton» nicht am Mittwoch, sondern am Donnerstag statt. Die «zweite Premiere» offenbarte unzweifelhaft, wie wichtig in dem Stück die Technik, wie wichtig Helligkeit und Dunkel und ihre Verbindungsstufen sind. Immer wieder blenden hier Lichter auf und ab. Ist der Raum ganz verdunkelt, sitzt man gleichsam vor einer schwarzen Leinwand. Während einer längeren Passage blendet ein Spot in den Zuschauerbereich hinein. Die Bühne mit den nach hinten wie auf eine Leinwand zu sich überperspektivisch verjüngenden «Tunnels-Wänden und dem weissen Podest vorne wird gleichsam zur Projektionsfläche für abstrakte Malerei. Musik, Tanz, Text, Stille Was nicht schlecht passt für diesen «Abend mit Musik, Tanz, Text und Stille», eine Hommage an den amerikanischen Komponisten und Pianisten Morton Feldman (1926-1987) von Joachim Schloemer, der verantwortlich zeichnet für Konzept, Textfassung, Regie, Cho-reografie (zusammen mit Graham Smith) und Ausstattung (mit Sebastian Hannak). Die Nachkriegsavantgarde in den USA um John Gage wurde ja stark von der (New Yorker) Kunstszene beeinflusst. Man mag jetzt in Zürich fallweise an Mark Rothkos meditative Farbfeldabstraktionen denken oder an frühe monochrome Arbeiten Robert Rauschenbergs. Von Künstlern also, die mit Feldman und Cage befreundet waren. In Selbstauflösung begriffen Feldman spiegelt sich in «Morton, Morton, Morton» dreifach: im Pianisten Markus Hinterhäuser, im Tänzer Graham Smith und in der Schauspielerin Marianne Harare. Hinterhäuser trägt am Steinway-Flügel in feiner Nuancierung das späte Klavierstück «For Bunita Marcus» des hünenhaft grossen und extrem kurzsichtigen Komponisten vor. Es ist dies eine Musik der Selbstbescheidung und der Masslosigkeit zugleich. Über weite Strecken in einem Pianpianissimo gehalten, nutzt das über einstündige Werk einen begrenzten Tonvorrat und verweigert sich radikal den kontrastdramaturgischen Mitteln, wie wir sie gewohnt sind. Ein beinahe irritierend friedvoll-kristallines Klanggeschehen breitet sich aus. Besonders Hamre, auf deutsch, und Smith, auf englisch, sprechen (0-Ton-)Texte, die Gucklöcher öffnen auf den werkbiografischen Kosmos des diskussionsfreudigen Amerikaners - oft auch als Simultan-Monologe gehalten, die wie zu Scheindialogen geschichtet sind.
Das geht vom Gedanken zur doch eher unfreien, weil nach Nahrung suchenden Möwe bis zur grafischen Notationsweise (derer Feldman sich eine Zeit lang bedient hat). Vom Satz «Die Zeit ist das Entscheidende» bis zur Anwünschung, einsam zu sein (beim realen Feldman an die Adresse des Gesprächspartners Walter Zimmermann). Es wird verwiesen auf die Vorliebe des Komponisten für gewisse Teppiche. (Einer liegt, zusammengerollt, vorne rechts.) Und so weiter. Vielfach gilt es, sich mit Sinnfetzen zu begnügen. Oder man lauscht einer sprachcollagierenden Meta-Musik. Der virtuos-biegsame Smith zeigt einen ausgedehnten Solotanz. Teile des Körpers können sich da vereinzeln durch Drehungen und Abwinkelungen. Skulpturales wächst hervor. Oft kontrastieren Spannungsgeladenheit und schnelles Tempo der Bewegungen zur Musik. Live auf der Bühne, auf Dias und per Filmkonserve zeigen die Figuren Positionswechsel-Spiele im Raum. Es wird gesessen, stehend der Blick in eine Ferne gerichtet. In Etappen führen Smith, zuerst angetan mit Hemd, Hose und Perücke, und Harare, im Kostüm, Kleidertausch-Spiele durch. Drei Feldmans? Sie sind in Wahrheit einer. Und selbst der löst sich gewissermassen auf.
Der Abend mag den Anstoss geben, sich mit dem Phänomen Morton Feldman näher zu beschäftigen. Der grenzgängerische Mehrsparten-Essaysetzt bei überzeugenden Darstellerleistungen diese durchaus irritierende Künstlergestalt auch in ein beziehungsreiches Koordinatennetz. Es gibt Nahrung für Ohr und Auge. [...]

Torbjörn Bergflödt