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Neue Zürcher Zeitung, 2. Februar 2002

Klagelieder und Klagetänze
Joachim Schloemers "Les larmes du ciel" in Luzern

Schwarze Gestalten am Rande des Geschehens: Erst sitzen sie da, in Reih und Glied, wie die alten Männer in den sardischen Dörfern, dazu gibt's Sesselrücken oder eine Umarmung. Und viel gibt's zu klagen, vom Stuhl, dann vom Boden her, gegen die Wand hin oder mitten aus dem Gewusel der Leiber heraus - die Tränen hören zu flies sen nicht auf: "Lasciatemi morire". Worum aber trauern die vier Frauen in Joachim Schloemers Tanz- und Musiktheater "Les larmes du ciel", das er mit einem kleinen Ensemble von Sängerinnen und Tänzern sowie dem Collegium Musicum Köln unter der Leitung von Attilio Cremonesi am Donnerstag im Luzerner Theater zur Uraufführung brachte? Der einzige Mann auf der Bühne kann's nicht sein. Zu sehr bewegt sich der Tänzer Graham Smith im Abseits, sitzt in einem Turm, zieht sich die Hose aus und an, malt Zeichen an die Wand, verschwindet hinter der Mauer, mit weIcher der Ausstatter Jens Kilian die Tiefe der Bühne begrenzt, mischt auch mal mit in diesem Tanz, um dann wieder seinen Weg zu gehen. Die Frauen sind derweil mit sich selbst beschäftigt, und ihre Trauer behalten sie bei sich, auch wenn die beiden Sängerinnen Marisa Martins und Anna Radziejewska ihre Lamenti laut werden lassen, auch wenn der Tanz von Alice Gartenschläger und Olivia Maridjan-Koop an Tempo zulegt. Es ist dies ein Abend der Innerlichkeit, ohne Pathos und ohne grosse Posen mit einem einzigen Stilbruch: wenn Olivia Maridjan-Koop sich das Messer an die Schlagader setzt, dann aber, die Szene sofort ironisierend, das Blut gleich selbst vom Boden wischt.
Und das Stück wird denn auch enthusiastisch beklatscht und bejubelt im Luzerner Theater, wo noch kein Abend von Luzerntanz so gefeiert wurde. Das wundert nicht. Denn das versteht Joachim Schloemer: Tänzer und Sänger auf der Bühne so zusammenzubringen, dass sie gemeinsam Körper werden. Sein "Guerra d'Amore" mit neun Sängern und zwanzig Tänzern zu Madrigalen von Monteverdi in Basel bleibt unvergesslich. Und auch in "Les larmes du cieI", einem Stück mit Lamenti und Instrumentalwerken des Barock für zwei Mezzosopranistinnen, zwei Tänzerinnen, einen Tänzer und sieben Musiker, zeigt der ehemalige Basler Tanztheater-Direktor ein feines Gefühl für die unterschiedlichen Möglichkeiten, Bühnenpräsenz zu schaffen. Die Tänzerinnen und der Tänzer - die man alle aus Basel kennt mögen vielleicht etwas kürzer treten müssen, doch kommt dem die karge Bewegungssprache Joachim Schloemers entgegen. Wenig Bewegung zu Beginn des eineinhalbstündigen Stücks: Zum Duett "Nò, di voi non vo'fidarmi" von Händel reissen sich die Darstellenden gegenseitig den Schmuck vom Leib, die Tänzerinnen und der Tänzer verstecken sich unter dem Rock der Sängerinnen, später lösen sie sich von ihnen, finden sich zu kurzen synchronen Sequenzen, etwa zum Allegro aus Vivaldis Concerto in g-Moll.
Mit sparsamer Zurückhaltung lassen der Choreograph und der musikalische Leiter Attilio Cremonesi auch die Sängerinnen agieren, körperlich und vor allem stimmlich. Und gerade dies verleiht dem Abend eine subtile Dringlichkeit. Marisa Martins liegt verkrümmt am Boden und hebt, erst kaum merklich, gen Himmel zu klagen an, und der leise traurige Ton vereint sich mit dem warmen Klang der alten Instrumente aus dem Orchestergraben, mit dem gelassenen Spiel der Musiker, von dem so etwas wie Trost zu kommen scheint. Noch eindringlichere Töne wachsen aus Anna Radziejewska, deren Klagen zuweilen zum drohenden Raunen wird, so auch zum Schluss des Abends in "Dormi" aus Alessandro Scarlattis Oratorium "La Giuditta": Leise und lange dringt der erste Laut aus dem Leib und erschüttert den Raum, reibt sich am Spiel aus dem Orchestergraben, was die Klage noch inständiger, schmerzlicher wirken lässt. Die andern haben's längst aufgegeben und setzen sich im farbigen Abendkleid dazu. Der Klägerin legen sie einen Mantel im Leopardenlook über - und die Stimme singt weiter, einsam mit sich und der Welt.

Lilo Weber