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Stuttgarter Nachrichten, 8. Oktober 1999

Liebeskrieg, konzentriert auf die Waffe Mensch
Monteverdi-Madrigale szenisch: Joachim Schloemers neues Tanzstück "La guerra d'Amore" in Basel

[...] Kaum dass Schloemer seinen Kreidekreis gezogen hat, belebt der sich, und auf Zehenspitzen tasten sich die Tänzer des Basler Tanztheaters und die Solisten der Schola Cantorum Basiliensis gemeinsam hinein in ein Madrigal, das, 360 Jahre alt, keine Sekunde lang gestrig wirkt. Doch Schloemer illustriert die Szene nicht. [...] Was er tut, ist etwas anderes: Er zeigt den "Liebeskrieg" eher als inneren Konflikt, als Kampf der Emotionen, als ein Ringen um den rechten Ausdruck, auch wenn nach der Pause die Körper zeitlupenhaft verzögert aufeinander prallen. Er konzentriert sich auf die Waffe Mensch. Er entdeckt in gefrorenen Gesten die Verwundungen der Seele wieder. Er lässt Empfindungen spüren, selbst wenn keine echten Tränen rinnen. Und er verschmilzt in seiner "Lettera Amorosa" aus dem 7. Madrigalbuch Gesang und Tanz so innig, dass man am Ende nicht mehr weiss, wer eigentlich singt, wer bloß tanzt: Ineinander verschlungen, werden Marisa Martins und Jean-Guillaume Weis im Augenblick der Liebe gleichsam eins.
Was bei der Koproduktion der Basler Theater mit den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik ganz wunderbar ist: Ohne das Mindeste von seinem "Liebeskrieg" zurückzunehmen, löst Joachim Schloemer zwischendurch die Spannungen wieder auf, und wie befreit tanzen Murielle Elizéon, Alice Gartenschläger, Virginie Lauwerier, Sónia Rocha und all die anderen auf der "Blumenwiese"; so ergeben sich Sinn und Sinnlichkeit. Zum Schluss - "La guerra d'Amore" ist im Grunde schon vorüber - spielt Rene Jacobs noch einmal auf, und alle werden ein letztes Mal von der Musik mitgerissen: Tänzer, Sänger - und die Zuschauer. Wann ist schon so etwas mal passiert im Basel der letzten Jahre?

Hartmut Regitz