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Regie Joachim Schloemer Video Philip Bußmann Musiker ensemble recherche

Maria Maddalena gilt in ihrer Umgebung als eine "Verrückte", die von mystischen Eingebungen überfallen wurde. Ihre Visionen enthalten oft satanische Bilder. Da sie aus einer vornehmen florentinischen Familie stammte, wurde sie gleichwohl heiliggesprochen. Sie schrieb ihre mitunter geradezu pathologisch wirkenden Besessenheiten nicht selbst auf, dies besorgten acht Novizinnen, mit denen sie sich umgab. Maria Maddalena sprach sehr schnell, fast maschinell, unterbrochen von langen Augenblicken des Schweigens. Die Seele, die sich in Blut verwandelt, die Dornen, die den heiligen Vater durchbohren, Tod, Jungfräulichkeit, Öffnungen des Himmels, Höhlen des Körpers - davon handeln die Visionen Maria Maddalenas, die zugleich von erotischen Obsessionen besetzt erscheinen, die sich in "teuflischen" Windungen des Körpers ausdrücken.
Sciarrinos Musik greift diese Signale und Impulse auf: Sie wirkt wie ein hochempfindliches elektronisches Gerät, das jede noch so feinste Äußerung des Seelischen registriert: Atem-Rhythmus, Herzklopfen dringen durch die Stille, die Musik entfaltet sich über kaum wahrnehmbare Geräusche, setzt knapp formulierte Klangpartikel, scheint mit den Klängen unablässig in die Person der Maria Maddalena hineinzulauschen, in das unheimliche Dunkel einer geheimnisvollen Seele hineinleuchten zu wollen. Gerade aus der bewußten Reduktion aber wächst eine ungeheure Spannung. Die Musik, so wirkt es, zieht den Zuhörer unmerklich mit in die Seelenerkundung hinein. Es geht eine große emotionale Gewalt von ihr aus, gerade in ihrem unablässigen Drang zum Verstummen.
(Gerhard Rohde)