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Die Presse, 28. September 2010

Tanz: Zum Sterben bläst der Dudelsack
Mit einer Uraufführung startete das Festspielhaus St. Pölten am Samstag in die zweite Saison unter Joachim Schloemer: Das Stück "Engel der Verzweiflung" zeigt sich dabei inhaltsschwer und musikalisch belebend.

Mit einer Uraufführung startete das Festspielhaus St. Pölten am Samstag in die zweite Saison unter Joachim Schloemer, mit dem von Intendanten selbst konzipierten und choreografierten Stück „Engel der Verzweiflung“: Eine fast zweistündige, schwer beladene Pessimismusstudie über die Unbelehrbarkeit der ihrem Ende zusteuernden Menschheit. Und eine gelungen verwobene Komposition aus Tanz, Barock-Arien, E-Gitarre, mitreißender Percussion, Jazzelementen und meditativem Glockenklang.

Schloemer hat sich aller Genres bedient, die ihm nützlich erschienen, um diese allegorische Figur in Szene zu setzen [...]

Schloemers Engel schwingt sich in akrobatischem Seiltanz vom Schnürboden, um den in ihrer Kleinkrämerei zwischen alten Kästen festgeklemmten Menschen zu helfen. Doch statt die Gunst der Stunde zu nützen, verbeißt sich das Pack noch mehr in Konflikte, Rangeleien, Geschlechterkämpfe – und stürzt sich letztlich auf den Retter, der schaudernd erkennen muss, dass nur eines hilft: Flucht. Kaum ist die personifizierte Hoffnung entschwebt, bleibt den Menschen nichts als Trostlosigkeit, bis der Letzte zu Alessandro Scarlattis Arie „Caldo sangue“ sein Leben aushaucht – ein Dudelsackbläser (Ian Harrison) begleitet ihn wie ein Begräbnismusikant hinaus.

Die hervorragenden Mezzosopranistinnen Anna Radziejewska und Cristina Zavalloni tragen das Geschehen mit gesanglicher Verve. Der musikalische Leiter des Abends, der experimentierfreudige italienische Gitarrist Maurizio Grandinetti, löst mit Gitarre und E-Gitarre manche Stimmungsschwankungen aus. [...]