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Rheinische Post, 2. Februar 2007

Absurde Abstürze im Lokal
Joachim Schloemer inszenierte am Düsseldorfer Schauspielhaus einen Abend mit Texten des belgischen Autors Henri Michaux. Dessen absurde Geschichten führen die Zuschauer in eine bedrohliche Welt.

Ein gediegenes Schiffsrestaurant. Die Tischdecken sind aus feinem Linnen, die Wände holzvertäfelt, hinter der Bar werden die Gläser poliert. An den Tischen sitzen Vereinzelte, ein Kapitän, ein Texaner, eine ältliche Dame in glitzender Abendkleidpelle. Ganz vorn isst ein Herr im Anzug Kuchen, hilflos blickt er drein, nicht verzweifelt, eher missmutig, ein wenig verwirrt.
Verstörende Geschichten nehmen aus seinem Mund ihren Anfang. Der Bericht von einem, der in einem Augenblick dummer Zerstreutheit an der Decke seines Zimmers umherläuft und verlegen in den Abgrund blickt. Oder von einem, der im Restaurant versehentlich etwas bestellt, das gar nicht auf der Karte steht, und dafür vom Geheimdienst bedrängt wird.
Wenn der Zuschauer im Theater dem Absurden begegnet, skurrilen Geschichten, wahnwitzigen Phantasien, dann hat er zwei Möglichkeiten: Er kann sich auflehnen gegen das Surreale, gegen das, was seinen Sinn nicht preisgibt, und sich einen Abend langweilen oder ärgern oder beides. Er kann aber auch auf die Suche gehen nach Gedanken, Bildern, Textbrocken, die zu ihm sprechen, die etwas noch nicht Gedachtes formulieren, die überraschen oder berühren oder beides.
Nach solchen Zuschauern verlangt die neue Inszenierung am Düsseldorfer Schauspielhaus: "Ein gewisser Monsieur Plume" - ein Abend zu Texten von Henri Michaux. Denn es wird nicht mehr geschehen in dieser Inszenierung, als dass die Leute in jenem gediegenen Restaurant seltsame Geschichten erzählen, in denen lethargische Menschen in bedrohliche Situationen geraten, bösen Phantasien ausgeliefert wie Versuchstiere. Die Darsteller spielen sich diese Geschichten gegenseitig vor, schlüpfen für- und voreinander in Rollen, in Szenen, in Zusammenhänge, die sich fügen und wieder vergehen. Da gibt es viel aufzuschnappen. [...]
Regisseur Joachim Schloemer versammelt diverse Prosatexte dieses Autors und stürzt den Zuschauer in jene Gegenwelten, die Michaux aus Wörtern baut. Es ist keine metaphernreiche, keine bildversponnene Sprache, in der Michaux sich bewegt, sondern eine von kindlicher Einfachheit. Gerade das macht seine Erzählungen so bedrohlich - das Absurde erscheint realistisch, folglich ist aller Wahrnehmung zu misstrauen.
Schloemer verstärkt diese Wirkung, indem er den Text manchmal widersinnig auf die Schauspieler verteilt, ein junges Mädchen eine alte Frau spielen lässt, die Alte eine lüsterne Königin und so fort. Auch passieren absurde Dinge auf der Bühne, in unendlicher Folge wird Kuchen serviert, ein Affe springt durchs Bild, ein Revolutionär sucht mit Megaphon die Schlafenden zu wecken, ein Mexikaner fällt plötzlich vom Schnürboden in einen Kartonberg, auf dem der schöne Satz zu lesen ist: Liebe ist die Okkupation des Raums.
[...] Halt bietet nur das Restaurant, von jeher Ort der Unverbindlichkeit und der Geschichten. Und ein Ensemble, das sich mit unbedingtem Eifer in die Szenen stürzt, scheinbar unberührt von allem Absurden, und den Zuschauer so in eine Welt schräger Logik führt, die komisch wirkt, doch immer auch beängstigend.
Es ist ein wirklicher Ensembleabend, die Darsteller spielen sich ihre Soli zu, lassen Horst Mendroch Raum, der lakonisch den Plume spielt, oder Kathleen Morgeneyer, die einen grazilen Tanz in einen Gewaltexzess münden lässt, die zivilisierteste Form der Bewegung in eine barbarische verwandelt. Sie schauen zu, wenn Pierre Siegenthaler vom Sprung in den Tod phantasiert oder Anke Hartwig resolut einen Ahnungslosen verführt.
[... ein] Abend, [...] der den Blick in die Welt irritiert; auch dann noch, wenn der Vorhang längst gefallen ist.

Dorothee Krings