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Der Spiegel, 9. Januar 2010

"Ich habe brutal viel Geld verloren"
Krisenstück in Freiburg

Tanz die Wirtschaftskrise! Der Regisseur und Choreograf Joachim Schloemer bringt Elfriede Jelineks Kleinanleger-Komödie "Die Kontrakte des Kaufmanns" in Freiburg auf die Bühne. Für ihn ein sehr persönliches Drama - er hat einst selbst an Börse spekuliert.

Kann man die Wirtschaftskrise tanzen? Seltsame Vorstellung. Aber seltsame Werke erfordern oft besondere Maßnahmen, und "Die Kontrakte des Kaufmanns" von Elfriede Jelinek ist auf jeden Fall ein sehr seltsames Werk, so wie die meisten Bühnentexte Jelineks: eine monströse Textfläche, ohne Dialoge, scheinbar ohne Struktur, nicht leicht zugänglich.

Was also tun? Der Regisseur und Choreograf Joachim Schloemer, der "Die Kontrakte des Kaufmanns" nun in Freiburg herausbringt, hat versucht, dem Text mit Bewegungen beizukommen. Sein Ziel war es, auf diese Weise "einen Grundgroove unter den Text zu legen, damit er überhaupt erst mal an den Mann gebracht werden kann", sagt der 47-Jährige. Mit Tanz habe das aber nichts zu tun, es gehe lediglich um Rhythmus: "Die Bewegungsmechanismen auf der Bühne sind mehr Beschleuniger oder Entschleuniger." Schloemers fünf Protagonisten - drei Frauen, zwei Männer - sind ständig in Bewegung, "denn der Text quillt ja über vor Motiven und Bildern. Dieses Überquellen versuche ich mit einer Bewegungsenergie zu füllen".

Und weil Jelineks Sprache ohnehin schon so überreich ist, gibt es in Schloemers Inszenierung keine Musik. "Die Musik ist der Text", sagt der Regisseur, bekannt für seine Grenzgänge zwischen Tanz, Oper und Schauspiel.

Dass die Freiburger Version von "Die Kontrakte des Kaufmanns" völlig anders aussehen wird als die Uraufführung durch Nicolas Stemann vor einem dreiviertel Jahr in Köln, liegt auch an Jelineks souveränem Hinweis, jeder Regisseur könne sich aus Textversatzstücken seine eigene Fassung basteln - was beide Regisseure denn auch beherzt getan haben. Schloemer, der sich bereits seit rund eineinhalb Jahren mit dem Stück befasst, hat sich dabei "auf das Nichts und seine metaphysischen Dimensionen" konzentriert, auf die Virtualität und Ungreifbarkeit der Finanzvorgänge: "Das Ganze ist ja eigentlich nur eine Verabredung", sagt Schloemer. "Wir haben nichts, wir hatten aber auch nichts. Wir gehen alle mit dem Nichts um und machen daraus etwas, nur die Banken machen daraus mehr als wir. Und so sind einige bei dem Nichts die Gewinner und andere die Verlierer."

Auch Schloemer, der seit September 2009 künstlerischer Leiter des Festspielhauses St. Pölten in Niederösterreich ist, gehörte zu diesen Verlierern, während des ersten Börsencrashs vor rund einem Jahrzehnt. "Ich habe damals - wie so viele - erst viel Geld gewonnen und dann brutal viel verloren." Inzwischen kenne er sich gut aus am Finanzmarkt, sagt er, "damals habe ich nur gedacht, ich würde mich auskennen." Sein Interesse an Jelineks Text sei also ein sehr persönliches: "Ich hab das alles eins zu eins mitgemacht."

Alles zum Glück dann doch nicht: Bei Jelinek gibt es einen Axtmörder, der aufgrund von Schulden seine ganze Familie umlegt.

Anke Dürr